Donnerstag, 17. April 2008

Glück ist Glückssache

Warum fühlen sich in einem reichen Land, in dem doch für so viele Annehmlichkeiten gesorgt ist, dennoch so viele Menschen unglücklich und suchen einen Psychotherapeuten auf? Hector, die Hauptperson von Francois Lelords "Suche nach dem Glück" [1], ist ein solcher Psychotherapeut. Er wundert sich über dieses Phänomen, schafft es aber irgendwie auch nicht, sie glücklicher zu machen. Seine Klienten haben zuwenig Zeit, sind unzufrieden mit ihren Beziehungen und mit ihrer Arbeit, fühlen sich unwohl und unsicher. Nichts davon müsste so sein - warum ist es trotzdem so?

Um das herauszufinden, begibt sich Hector auf eine grosse Reise, auf der er viel lernt über das Glück und das Unglücklichsein. Da gibt es einen Professor, der es mit der Erforschung des Glücks zu Rang und Namen gebracht hat und sich damit beschäftigt, die Hirnströme Glücklicher und Unglücklicher zu vermessen. Seine Erkenntnisse jedoch passen bequem auf eine Quartseite und sind auch ohne EEG's dem gesunden Menschenverstand unmittelbar zugänglich. Da gibt es eine Sterbenskranke, die dennoch glücklich ist, weil sie ihr Glück auch daraus bezieht, dass die Menschen ihres Umfelds glücklich sind. Da gibt es einen Gangsterboss, der sich, statt Hector zu ermorden, seine Skizze zum Glück aufmerksam durchliest - während Hector seinerseits durch die drohende Todesnähe sehr bereichert wird (dabei ging ihm die Lektion Nr. 15 auf: "Glück ist, wenn man sich rundum lebendig fühlt"). Auch der Gangsterboss ist also ein Hungriger nach Glück, vielleicht wäre er unter anderen Umständen in Hectors Praxis gelandet...

Die Lektionen, die Hector in sein Notizheft aufnimmt, haben es in sich. Hier eine kleine Auswahl von Lektionen, die ich besonders bemerkenswert finde:

Lektion Nr. 1: Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich das Glück zu vermiesen.

Hier gibt es natürlich gleich ein grosses Aber. Denn keine Vergleiche anzustellen, ist einem Menschen westlicher Prägung praktisch unmöglich. Der Vergleich ist die Kraft, die den Menschen zur Arbeit antreibt und damit zum Glücksempfinden in der Arbeit. Ohne Vergleiche keine Kühlschränke, keine Atomkraftwerke, keine Modenschauen, keine Olympiaden und keine weltumspannenden Imbissketten. Siehe auch Über das Sich-Vergleichen in diesem Blog. Wir können uns also die Vergleiche wahrscheinlich nicht vollständig abgewöhnen, sondern nur punktuell. Indem wir uns nämlich fragen: Ist dieser konkrete Vergleich fruchtbar, ist er mir dienlich, oder ist er unnütz und nur aus Gewohnheit angestellt. Damit kommen wir zum eigentlichen Kern dieser Lektion: Der Glückshemmer ist nicht das Sich-Vergleichen an sich, sondern das Vergleichen aus dumpfer Gewohnheit, ohne sich zu fragen, ob der Vergleich funktional für das eigene Wohlergehen ist. Der eigentliche Feind des Glücks ist die unhinterfragte Gewohnheit!

Lektion Nr. 6: Glück, das ist eine gute Wanderung inmitten schöner, unbekannter Berge.

Diese Lektion ist besonders anstössig, wenn sie eine Allgemeinaussage macht, die doch wahrscheinlich nur subjektive Geltung hat? Was dem einen die Bergwanderung, ist dem anderen das Sonnenbad am Strand, dem dritten vielleicht ein Tag für sich allein in seinem Zimmer, um seinen Gedanken nachzugehen?

Man kann hierzu sagen: Glück ist nicht, zu jeder Rede ein Gegenargument zu finden! Wer nicht glaubt, dass Bergwanderungen Glück verschaffen, der möge, statt herumzudiskutieren, es einfach ausprobieren. Ich spreche aus Erfahrung. Obwohl ich mich zum Bewegen meist aufraffen muss, da ich möglichst bestrebt bin, im Zustand der Ruhe zu verharren, bemerke ich doch an Spaziergängen im nahe gelegenen Eschenbergwald, dass sie mir Glück verschaffen. Es findet eine Art Kommunion, eine Durchdringung mit der Natur statt. Das Gedankenleben kann sich abwenden von Vereinseitigungen. Man hat Zeit, sich Dingen zuzuwenden, die einen wirklich selbst betreffen. Das, was im Gehen durchdrungen wird, haftet nach meiner Erfahrung auch anders als eine Sitzwahrheit. Was ich auf Spaziergängen mehr als anderswo erleben kann, ist einen seelischen Stoffwechsel. Das ist m.E. auch die eigentliche Ursache des Glücksgefühls, das Hector bei seiner Bergwanderung ergriff.

Lektion Nr. 19: Sonne und Meer sind ein Glück für alle Menschen.

Diese Lektion übertrifft scheinbar an Bevormundung noch die Lektion Nr. 6: Hier wird explizit etwas "für alle Menschen" behauptet. Wie kann so etwas in dieser Allgemeinheit behauptet werden? Hätte die Kanzlergattin Hannelore Kohl mit ihrer Lichtallergie diese Lektion beherzigen können? Es mag dennoch etwas daran sein. Wenn man das Buch liest, merkt man, dass das "für alle Menschen" keineswegs diktatorisch gemeint ist. Vielmehr geht es ihm um den egalitären Charakter des Strandbads. In der Badehose haben die Menschen kaum Möglichkeiten, mit ihrem Reichtum zu protzen - ihre sozialen Unterschiede verschwinden, sie sind reduziert aufs blosse Menschsein. Um diesen egalitären Charakter des Strandes geht es dem Autor, und die Lektion Nr. 19 konstatiert nichts anderes als dass das blosse Menschsein eine Quelle des Glücks ist. Als Mensch zu leben und sich daran zu erfreuen, ist eine dauerhaftere Glücksquelle als beispielsweise der Triumph über einen Konkurrenten oder eine besondere Höchstleistung.


Lektion Nr. 10: Glück ist, wenn man eine Beschäftigung hat, die man liebt.

Das ist eine wichtige Lektion. Man könnte sie auch in der Negation formulieren: Willst du glücklich sein, so meide Beschäftigungen, die du nicht liebst. Nun kann man nicht alle Beschäftigungen lieben, denen man sich im Laufe des Tages widmet. Aber wenigstens das, womit man hauptsächlich beschäftigt ist, sollte man gern tun, sonst wird die Arbeit eine Quelle des Unglücks.

Auch Workaholics lieben ihre Beschäftigung. Aber sie verstossen gegen andere Glückslektionen. Daher muss besonders betont werden, dass auch diese Lektion ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für Glück ist!

Lektion Nr. 13: Glück ist, wenn man spürt, dass man den anderen nützlich ist.

Das ist oft - nicht immer - die Antwort auf eine Frage, die sich an Lektion Nr. 10 anknüpft. Wieso ist denn eine Beschäftigung eine Quelle der Freude? Weil man eben spürt, dass sie anderen nützlich ist. Der Bäcker, der mit seinen Croissants das Viertel versorgt, stillt die Bedürfnisse von vielen. Es gibt ihm ein Wohlgefühl, einen Sinn, anderen auf diese Weise nützlich sein zu können. Nicht jede Beschäftigung, die man liebt, muss aber anderen nützlich sein. Manche Beschäftigungen dienen wirklich nur dem persönlichen Vergnügen, wie zum Beispiel die eigene Bonsai-Zucht, der man sich täglich mit Freude und Hingebung widmet.

Lektion Nr. 11: Glück ist, wenn man ein Haus und einen Garten hat.

... oder eine Ein-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Bahnhofs und eine Lieblingsbank zum Sinnieren im Stadtpark - egal. "Ein Haus haben" bedeutet, dass es einen ruhenden Punkt im Leben gibt, von dem alle Aktivitäten ihren Ausgang nehmen und wohin man auch wieder zurückkehrt. Ein Handelsreisender, der jeden Tag in einem anderen Hotel in einer anderen grossen Stadt nächtigt, hat keinen solchen Ruhepunkt. Er läuft Gefahr, als Umherirrender seine Mitte zu verlieren. Natürlich ist es individuell verschieden, welches Zuhause einer wählt. Eine grosse Seele mag die ganze Erde als ihr Zuhause empfinden - das sind die Kosmopoliten - oder in der täglichen Meditation mit Blick über den Zürichsee zuhause einkehren. Der Möglichkeiten sind viele.

Auch einen Garten zu haben, ist übergreifend zu verstehen. Ein Garten ist ein Ort, zu dem man in Stunden äusserer Musse einkehrt, um sich an ihm zu erfreuen. Wer einen Garten hat, hat etwas, das er regelmässig pflegt und bearbeitet. Er sorgt dem Unkraut und der Verwilderung vor und erfreut sich daran, in einem eigenen Bereich eine Welt nach eigenen Regeln und nach eigenen ästhetischen Vorstellungen erstehen zu lassen. Das ist es, was den "Garten" zu einer Quelle des Glücks macht.

Lektion Nr. 8: Glück ist, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt.

Lektion Nr. 14: Glück ist, wenn man dafür geliebt wird, wie man eben ist.

Lektion Nr. 17: Glück ist, wenn man an das Glück der Leute denkt, die man liebt.

Allein drei Glückslektionen, die mit der Liebe der Menschen zueinander zu tun haben. Der Mensch ist nicht nur ein "zoon politikon", sondern sogar ein "ens amans", seine Fähigkeit zu lieben macht das Wesen des Menschseins aus. In der liebevollen Auseinandersetzung mit anderen schaffen und erleben wir eine tiefe Realität, eine tiefere Wirklichkeit als unsere Wahrnehmungen und Gedanken. Diese Wirklichkeit zu spüren, kann beglückend sein.

Auch in der Negation erschliessen sich diese Lektionen. Mit Menschen zusammenleben zu müssen, die einem zutiefst zuwider sind, oder, noch schlimmer: die einem im Grunde gleichgültig sind, kann eine Quelle des Unglücks sein. Das gleiche gilt umgekehrt, wenn man selbst sich ungeliebt, von niemandem wahrgenommen fühlt. Wieviele verzweifelte Taten werden nur aus dem Wunsch nach Aufmerksamkeit - und damit letztlich nach Liebe begangen!


Lektion Nr. 7: Es ist ein Irrtum zu glauben, Glück wäre das Ziel.

Wenn das stimmt, ist es eigentlich unmöglich, nach Glück zu streben. Man kann sich das Glück nicht auf die Agenda setzen. Ebenfalls ist es unmöglich, das Glück zu trainieren. Glück ist ein Zustand, der sich einstellen kann, aber nicht muss. Man kann es nicht erzwingen (nun sei doch mal glücklich!), sondern bestenfalls die Voraussetzungen für Glück schaffen. Dafür sind Hectors Lektionen ein guter Wegweiser.


Lektion Nr. 2: Glück kommt oft überraschend.

Glück ist eben oft Glückssache!




[1] François Lelord: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück, München 2006.

Keine Kommentare :